5 Fragen an die DGE
Status Quo
Seit der Reform des Schulessens bekommen vegane Kinder in Berlin grundsätzlich (!) kein veganes Essen mehr in den staatlichen Schulen. Die Senatsverwaltung erklärt diesen Grundsatz mit den ‚DGE-Qualitätsstandards für die Schulverpflegung’, einem Papier der ‚Deutschen Gesellschaft für Ernährung’, dass bis ins Detail vorschreibt, wie das Schulessen beschaffen zu sein hat. Das sagt das neue Gesetz. Im Prinzip stellt die Reform für die meisten Kinder tatsächlich auch eine Verbesserung dar. So erlaubt die DGE z.B. nur noch an 4 Tagen im Monat Fleisch, Zusatzstoffe sind quasi verboten, alles muss frisch zubereitet werden… Allerdings dürfen die Caterer auch kein veganes Essen mehr liefern, was vor der Reform noch möglich war. Die Caterer riskieren sogar Vertragsstrafen oder die Kündigung, wenn sie dem zuwider handeln. Geschickt eingefädelt!
Für die veganen Kinder ist das natürlich eine Verschlechterung. Sie werden vom gemeinsamen Mittagessen ausgegrenzt, manche dürfen nicht einmal eigenes Essen mitbringen und sollen vegane Bestandteile aus dem regulären Essen rauspicken! Viele Eltern müssen das Schulessen sogar trotzdem bezahlen!
Gegenwehr
Da die Senatsverwaltung alle unsere dargelegten Gründe komplett ignoriert, haben wir Klage eingereicht gegen das Land Berlin. Die Senatsverwaltung begründet ihre starrsinnige Haltung allein (!) mit dem Standpunkt der DGE, die sich gegen eine vegane Ernährung von Kindern ausspricht. Dieser Standpunkt steht auf sehr wackeligen Beinen. Die DGE interpretiert in einem Positionspapier von 2011 nicht nur uralte Studien aus den 1970ern so um, dass sie schlechtes Licht auf vegane Ernährung werfen, sondern ignoriert auch neuere Studien, bzw. den aktuellen Stand der Wissenschaft.

Wir gehen davon aus, dass die DGE nicht bewusst veganen Kinder schaden will. Das DGE-Logo ist interessanterweise komplett grün und stellt eine Pflanze dar! (Leider hat die DGE uns verboten, es hier abzubilden. Wir mussten es entfernen. Stattdessen zeigen wir euch das spannende Hauptgebäue der DGE.)
Die DGE wird hoffentlich einfach nur von der Senatsverwaltung als Vorwand benutzt. Darum haben wir ein paar Fragen vorbereitet, die wir von der DGE beantworten lassen. Natürlich sind die Fragen so formuliert, dass es nur eine Antwort geben kann, wenn die DGE sich nicht völlig lächerlich machen will.
Seht selbst:
Bitte um Stellungnahme
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Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich schreibe im Namen der Kinder und Eltern des Netzwerks ‚Vegane Kinder wollen essen‘ und habe einige Fragen an die DGE, bzw. bitte um eine Stellungnahme. Zurzeit befinde ich mich in einem Rechtsstreit mit dem Land Berlin um die Bereitstellung veganen Mittagessens für meine Tochter in der Grundschule, die vom Schulträger – grundsätzlich - abgelehnt wird. Aufgrund dieses Grundsatzcharakters handelt es sich um eine Musterklage.
Dies wird damit begründet, dass ein Schulessen in Berlin den ‚DGE-Qualitätsstandards für die Schulverpflegung‘ entsprechen muss. Außerdem bezieht sich der Schulträger auf eine ‚Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. vom 13.09.2011‘, aus der hervorgeht, dass die DGE ‚eine rein pflanzliche Ernährung im gesamten Kindesalter für nicht geeignet‘ hält.
Meine Tochter wird von der Gemeinschaftsverpflegung ausgegrenzt, was zu erheblichen Schäden im psycho-sozialen und seelischen Bereich führen kann und eine Verletzung ihrer Grundrechte darstellt. Außerdem findet meines Erachtens eine Verschlechterung ihrer Versorgung statt, da sie den gesamten Tag über auf ihre Brotdose zurückgreifen muss. Manche Kinder dürfen auch kein eigenes Essen mitbringen und sollen sich vegane Bestandteile aus dem regulären Essen ‚herauspicken’. (Schriftliche Bescheide eines Bezirksamts liegen mir vor, in denen das explizit gefordert wird!)
Im Prinzip begrüße ich die Berliner Reform des Schulessens und erkenne die wichtige Rolle der DGE und ihren Einsatz für eine gesunde Ernährung von Kindern. Ich bin aber der Meinung, dass die o.g. Verwaltungspraxis an Berliner Schulen die Ziele der ‚DGE-Qualitätsstandards für die Schulverpflegung‘ konterkarieren.
Dazu habe ich einige Fragen, die zu beantworten ich Sie hiermit bitte. Ich werde die Antworten vor Gericht verwenden und außerdem veröffentlichen. Sollte ich keine Antwort erhalten, werde ich auch das vor Gericht verwenden und veröffentlichen.
Da die Schulträger in ihrer Entscheidung die Grundrechte meiner Tochter verletzen und sich dabei allein auf die DGE berufen, halte ich persönlich es aber für notwendig, dass die DGE zu folgenden Fragen Stellung bezieht:
- Besteht trotz Supplementierung und ärztlicher Kontrollen ein Risiko für Nährstoffdefizite bei veganer Ernährung von Kindern?
- Ist es richtig, dass die DGE sich gegen Supplementierung ausspricht?
- Sollen oder dürfen vegane Kinder gezwungen werden, Nahrung tierischen Ursprungs zu konsumieren?
- Wie ist es aus ernährungswissenschaftlicher Sicht zu bewerten, wenn vegane Kinder sich vegane Bestandteile aus dem regulären Mittagessen ‚herauspicken’?
- Wie wichtig ist es für Kinder, dass ihnen ermöglicht wird, an der Gemeinschaftsverpflegung teilzunehmen? Oder: Welche Folgen hat es, Kinder von der Gemeinschaftsverpflegung auszugrenzen?
Ich werde nun auf die einzelnen Fragen näher eingehen.
Zu 1.: Risiko für Nährstoffdefizite
In der ‚Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. vom 13.09.2011‘ heißt es:
‚Da sich mit dem Verzicht auf jegliche tierische Lebensmittel das Risiko für Nährstoffdefizite erhöht, hält die DGE eine rein pflanzliche Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit sowie im gesamten Kindesalter für nicht geeignet, um eine adäquate Nährstoffversorgung und die Gesundheit des Kindes sicherzustellen.‘
Dieses Risiko versuchen verantwortungsbewusste Eltern veganer Kinder jedoch auszuschließen, indem sie auf gesunde Ernährung achten, kritische Nährstoffe supplementieren und die Kinder regelmäßig ärztlich kontrollieren lassen.
Laut einer ‚EsKiMo-Studie‘ des Robert Koch-Instituts und der Uni Paderborn im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz liegt die Versorgung von Kindern und Jugendlichen bei bestimmten Nährstoffen teils deutlich unter den Referenzwerten. Dabei handelt es sich z.B. um Eisen, Calcium, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Vitamin A, D, E… Daraus lässt sich ableiten, dass auch eine omnivore Ernährung im Kindesalter offenbar nicht geeignet ist, um eine adäquate Nährstoffversorgung und die Gesundheit des Kindes sicherzustellen.
Ich betone hier ausdrücklich das Wort ‚sicherstellen‘, da mit der oben zitierten Kernaussage der ‚Presseinformation vom 13.09.2011‘ impliziert wird, eine andere als die vegane Ernährung böte diesbezüglich Sicherheit.
Offenbar gilt nicht nur für vegan ernährte, sondern auch für alle anderen Kinder diese Aussage aus dem DGE-Papier: ‚Hier sind spezielle Kenntnisse der Lebensmittelauswahl und -zubereitung bzw. die Sicherstellung der Versorgung durch angereicherte Lebensmittel oder Supplemente erforderlich.‘
Frage: Besteht trotz Supplementierung und ärztlicher Kontrollen ein Risiko für Nährstoffdefizite bei veganer Ernährung von Kindern? Falls ja, bitte begründen!
Zu 2.: Supplemente
Der Schulträger behauptet in einem offiziellen Bescheid, dass die DGE sich ‚gegen den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln‘ ausspricht. Soweit ich weiß, empfiehlt die DGE jedoch die Supplementierung einiger kritischer Nährstoffe, teils für bestimmte Gruppen, teils für die Gesamtbevölkerung. Unter anderem werden Jod, Fluorid, Folsäure, Eisen, Vitamin D und K genannt.
Laut der ‚EsKiMo-Studie‘ greifen je nach Altersgruppe zwischen 3 und 27.8% der Kinder und Jugendlichen auf Supplemente zurück. Unter Ihnen erhöht sich ‚der Anteil derer, die mit den Supplementen die empfohlene Zufuhrmenge eines Nährstoffes erreichen vor allem bei Jod, Vitamin D, Vitamin E, Riboflavin, Pantothensäure, Pyridoxin und Folat, bei Mädchen außerdem bei Eisen.‘
Supplementierung ist offenbar bei allen Kindern egal welcher Ernährungsform ein wichtiger Faktor.
In ihrer ‚Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. vom 13.09.2011‘ hält die DGE ‚unter Beachtung einer ausreichenden Eisen- und Jodversorgung (ggf. mit Hilfe von Supplementen oder angereicherten Lebensmitteln [])‘ eine ‚ovo-lactovegetarische‘ (sic) Ernährung für möglich.
Frage: Ist es richtig, dass die DGE sich – speziell bei veganen Kindern - gegen Supplementierung ausspricht? Falls ja, warum gilt das nicht für ovo-lacto-vegetarische Ernährung?
Zu 3.: Ausübung von Zwang
Ethisch begründet vegan lebende Kinder nehmen prinzipiell keine Nahrung zu sich, die ihrer Gewissensentscheidung widerspricht. Im Gegensatz zu anderen Ernährungsvorgaben (z.B. Bio, Gentechnikfreiheit, Saisongemüse oder regionale Produkte), die sich allein auf gesundheitliche, ökologische oder ästhetische Aspekte gründen, können Menschen bei ethisch begründeten Ernährungsformen keine Ausnahmen machen, ohne in einen Gewissenskonflikt zu geraten. Veganes Essen ist kein Sonderwunsch, sondern obligatorisch.
Kinder, die von Haus aus eine ungesunde / falsche Ernährung gewohnt sind, können und müssen durch entsprechende Maßnahmen an gesunde Ernährung und Umstellung ihrer Essgewohnheiten herangeführt werden. Diese Maßnahmen sind gut für ihre Gesundheit und widersprechen nicht den Wünschen und Zielen der Kinder oder deren Eltern. Auch wenn viele Schulkinder sich aus Gewohnheit oder mangelnder Aufklärung mit der Umstellung schwertun und die Berliner Reform des Schulessens kritisieren (‚zu viel Vollkorn, zu wenig Fleisch‘), gewöhnen sie sich doch mit der Zeit daran. Tatsache ist, dass diese Kinder das Essensangebot trotz der anfänglichen Widerstände schließlich – zu ihrem Vorteil - annehmen.
Für vegane Kinder gilt das nachweislich nicht! Sie greifen nicht auf das reguläre Essen zurück, weil sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Die Ausgrenzung von der Gemeinschaftsverpflegung bringt vegane Kinder in eine Notlage. Sie müssen gegen ihr Gewissen handeln, um zur Gruppe gehören zu können. Freiwillig folgen diese Kinder den Empfehlungen der DGE nicht. Der Entzug von Nahrung mit dem Ziel, diese Kinder zu einer Ernährungsumstellung zu bewegen, ist Zwang.
Fragen: Dürfen Kinder gezwungen werden, entgegen ihres Gewissens, Nahrung tierischen Ursprungs zu konsumieren? Auch im Hinblick auf die Begünstigung von Essstörungen? Falls ja, welche Art von Zwang soll ausgeübt werden?
Zu 4.: Reduzierung des regulären Essens auf vegane Bestandteile
Kinder, die gegen den Willen ihrer Eltern vegan sind, bekommen oft keine alternative Versorgung von zu Hause mit. Außerdem gibt es Schulen, die den Kindern verbieten, von zu Hause mitgebrachtes Essen mit in den Speiseraum zu nehmen. Einige Familien unseres Netzwerks müssen den Verpflegungsanteil für ihr veganes Kind trotz Nichtlieferung bezahlen. Der Schulträger begründet das damit, dass das Kind sich ja vegane Bestandteile aus dem regulären Mittagessen ‚herauspicken’ könne.
Im günstigsten Fall bekommt das Kind eine gut gefüllte Brotdose mit in die Schule, aus der es das Mittagessen ersetzen muss.
Fragen: Wie ist es aus ernährungswissenschaftlicher Sicht zu bewerten - im Vergleich zu einem sorgfältig abgestimmten veganen Mittagessen -
- … wenn Kinder sich vegane Bestandteile aus dem regulären Mittagessen ‚herauspicken’?
- … wenn Kinder zur Selbstversorgung auf eine Brotdose zurückgreifen?
Erhöht oder verringert sich durch diese Maßnahme das Risiko für Nährstoffdefizite?
Zu 5.: Bedeutung von Teilhabe oder Ausgrenzung
Die DGE scheint den sozialen Aspekten der Schulverpflegung einigen Wert beizumessen. In den ‚DGE-Qualitätsstandards für die Schulverpflegung’ heißt es u.a.:
‚Die Schule als Ort des Lehrens, Lernens und Lebens versammelt Menschen unterschiedlichster Herkunft, persönlicher, familialer und kultureller Erfahrungen und Prägung. Der Umgang miteinander und die Qualität sowie Intensität der Beziehungen üben einen entscheidenden Einfluss auf das Lernklima aus.’
oder
‚Entwicklungsprozesse sind Lernprozesse für alle Beteiligten: Bei der Implementierung und Weiterentwicklung von Schulverpflegung handelt es sich um eine integrative Aufgabe, zu der jeder etwas beisteuern kann.’
oder
‚Essen ist immer Teil der Identität und vermittelt Geborgenheit und Sicherheit. Die Präferenzen beim Essen sind zwar stark kulturell geformt, aber sie sind über Gewohnheiten auch wandelbar. Schulverpflegung muss dieses beachten. Zur Berücksichtigung der sozialen und psychischen Bedeutung des Essens sollten die Vorlieben und Abneigungen der Schüler beachtet werden.’
Tatsache ist aber, dass unter Bezugnahme auf eben diese ‚DGE-Qualitätsstandards‘ veganen Kindern die Teilhabe verwehrt wird. Der ‚Umgang miteinander‘ sieht so aus, dass Kinder aufgrund ihrer Gewissensentscheidung diskriminiert werden. Vegane Kinder dürfen nichts zur ‚Weiterentwicklung von Schulverpflegung‘ beisteuern. ‚Geborgenheit und Sicherheit‘ werden veganen Kindern in dem Zusammenhang überhaupt nicht vermittelt. Obwohl es weiter heißt:
‚Kulturspezifische und regionale Essgewohnheiten sowie religiöse Aspekte sind berücksichtigt.‘
Ethische Aspekte aber, insbesondere hier natürlich Veganismus, werden in gar keiner Weise berücksichtigt.
Fragen: Wie wichtig ist es für Kinder, dass ihnen ermöglicht wird, an der Gemeinschaftsverpflegung teilzunehmen? Oder: Welche Folgen hat es, Kinder von der Gemeinschaftsverpflegung auszugrenzen – für die einzelnen Kinder und die gesamte Gruppe?
Ich freue mich auf eine sachkundige Antwort!
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Wie immer: bitte kommentiert unten, was ihr davon haltet und teilt diesen Beitrag in euren Netzwerken! Vielen Dank! :)
Schön geschrieben! Ich bin auf die Antwort gespannt.
Vielen Dank für eure Arbeit!!!
Liebe Grüße
Sehr gut strukturiert und argumentiert! Toll, dass es Eltern gibt, die so aktiv dran bleiben! Vielen Dank für den großen Einsatz!!! Bin sehr gespannt auf die Antwort!
Sehr gut strukturiert und argumentiert! Toll, dass es Eltern gibt, die so aktiv dran bleiben! Vielen Dank für den großen Einsatz!!! Bin sehr gespannt auf die Antwort!
Ich fürchte, dass die DGE leider der Fleischlobby weiter recht geben wird. Die Interessen im Spiel sowie die kulturellen Vorurteile und der Wissenschaftliche Rückstand der die DGE und viele „Ernährungswissenschaftler” zum Thema Veganismus aufweisen bleibt nach wie vor sehr stark. Ich hätte auch eine andere Frage gestellt: „Warum behauptet die DGE vegane Ernährung für Kinder sei ungeeignet, wenn weltweit ähnliche wissenschaftliche Organisationen genau das Gegenteil behaupten?”
Wir leben halt in einer wirtschaftlichen und ideologisch konditionierten Gesellschaft wo es als ganz normal angesehen wird, dass Hobbyjäger Kinder in Schulen mit Lernangebote wie „Naturschutz”, „Wildtierkunde” oder „Walderkundung” aktiv bilden dürfen, wo aber eine vegane Ernährung als ungesund oder gar Lebensgefährlich rezipiert ist. Von solch einer Kultur sind Ärzte und Wissenschaftler leider nicht immun. Kurzfristig wird die DGE wahrscheinlich ihre Stellungsnahme nicht ändern. Ich hoffe aber trotzdem, dass langfristig diese Anregungen sie dazu führen werden einzusehen wie sie das Thema Veganismus sehr oberflächlich behandelt haben und ihre Leitlinien dementsprechend in Zukunft revidieren werden. […]
Vielen Dank für deine Bemühungen!
Super, Danke für diesen tollen Fragenkatalog. Der gibt den Kritikern sicher gut zu beißen (Pun intended).
Danke Daniel!! ..na dann schaun wir mal…eigentlich kanns ja nicht sein das nach so viel „festnageln” und aufklären, immernoch abgeblockt wird, zumindest nicht doch mit den „alten” Gründen..Ich bin gespannt..